(Retrodigitalisat) Das 32bändige Wörterbuch gibt es für alle, die nur eine Garçonnière bewohnen nicht nur platzsparend als CD sondern als kostenloses Online-Angebot. Jakob Grimm verfocht eine durchgängige Kleinschreibung und bedauerte "den albernen gebrauch großer buchstaben für alle substantiva".
Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Wer gerne die Bedeutung alter Wörter nachschlägt, ist beim berühmten Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm, den bekannten Geschichtenerzählern richtig. Es ist eines der umfangreichsten Wörterbücher überhaupt. In über hundert Jahren wurde ihre Vorarbeit auf insgesamt 16 Bände ausgeweitet. Als es am 4. Jänner 1961 - nach 123 Jahren - fertiggestellt war, war der letzte Band der 32.! Die Neubearbeitung hat jedoch gleichzeitig mit dem Abschluss der Arbeit begonnen. Ein zusätzlicher Quellenband erschien 1971.
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- 15.1.17 [Letzte Aktualisierung, online seit 3.1.09]
Glückliches China. Dass es zu dieser elektronischen Fassung kam, kommt einem zweiten Wunder gleich. Zu verdanken ist es einem engagierten Team von Informatikern und Geisteswissenschaftlern um den Germanisten Kurt Gärtner im "Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier", das sämtliche Probleme im Zusammenhang mit der Digitalisierung des "Grimm" lösen musste: Scannen kam nicht in Frage, denn die Fehlerquote wäre bei einer Schriftgröße von nur 7 Punkt, bzw. 6 Punkt für die Zitate, zu hoch gewesen. Also entschied man sich in Trier für die Methode der doppelten Eingabe: Das bedeutete, dass gleich zweimal sämtliche 300 Millionen gedruckte Zeichen per Tastatur eingegeben werden mussten, der automatische Abgleich beider Versionen sollte dann die dabei entstehenden Fehler erkennen.
Das Kompetenzzentrum vergab den Auftrag nach China, weil deutschsprachige Erfasser/innen unwillkürlich Fehler in die Dateien geschrieben hätten. Sie hätten womöglich aus einem mittelhochdeutschen "frouwe" ohne es selbst zu merken "frauwe" werden lassen, Fehler, die man dann erst aufwändig wieder herauskorrigieren müsste. Da es aber um eine buchstaben- und zeichengetreue Umsetzung geht, die so präzise ist, dass sie Linguisten absolute Zuverlässig- und Zitierbarkeit garantiert, kam nur China in Frage. Bereits den Schreibanfängern wird dort eingeprägt, auch die kleinste Veränderung in ihrem komplizierten Schriftsystem wahrzunehmen. Jedes fehlende oder hinzugefügte Detail kann die Bedeutung eines Zeichens vollständig verändern.
Was in Nanjing getippt wurde, musste dann vom Team in Trier abgeglichen, neu systematisiert, um spezielle Kodierungen und exotische Sonderzeichen ergänzt und in international standardisierte Beschreibungssprachen überführt werden. So entstand eine digitale Fassung, deren Text der Druckversion nicht nur in seiner Handhabbarkeit überlegen ist: Er wurde auch gleich um eindeutige Druckfehler im Deutschen bereinigt und ist damit der neue Standard für jeden Wortforscher, der sich mit der Geschichte der deutschen Sprache beschäftigt.
Kleinschreibung. A propos Rechtschreibreform: Jakob Grimm verfocht eine durchgängige Kleinschreibung. Im Vorwort zum deutschen Wörterbuch betont er, daß die Fraktur erst "den albernen gebrauch großer buchstaben für alle substantiva" veranlaßt habe:
19. Schreibung und druck.
Es
verstand sich fast von selbst, dasz die ungestalte und häszliche
schrift, die noch immer unsere meisten bücher gegenüber denen aller
übrigen gebildeten völker von auszen barbarisch erscheinen läszt, und
einer sonst allgemeinen edlen übung untheilhaftig macht, beseitigt
bleiben muste.
Leider nennt man diese verdorbne und geschmacklose
schrift sogar eine deutsche, als ob alle unter uns im schwang gehenden
misbräuche zu ursprünglich deutschen gestempelt, dadurch empfohlen
werden dürften. nichts ist falscher, und jeder kundige weisz, dasz im
mittelalter durch das ganze Europa nur éine schrift, nemlich die
lateinische für alle sprachen galt und gebraucht wurde. seit dem
dreizehnten, vierzehnten jahrhundert begannen die schreiber die runden
züge der buchstaben an den ecken auszuspitzen und der beinahe nur in
rubriken und zu eingang neuer abschnitte vorkommenden majuskel schnörkel
anzufügen.
Die erfinder der druckerei gossen aber ihre typen
ganz wie sie in den handschriften üblich waren und so behielten die
ersten drucke des 15 jh. dieselben eckigen, knorrigen und scharfen
buchstaben, gleichviel ob für lateinische oder deutsche und französische
bücher bei. mit ihnen wurden dann auch alle dänischen, schwedischen,
böhmischen, polnischen bücher gedruckt. dennoch führte in Italien, wo
die schreiber der runden schrift treuer geblieben waren und schöne alte
handschriften der classiker vor augen lagen, schon im 15 jh. in vielen
druckereien ein reinerer geschmack die unentstellten buchstaben für die
lateinische oder vulgare sprache zurück, und nun lag es an den andern
völkern diesem beispiel zu folgen. beim latein gab es keinen ausweg, und
im 16 jh. drang auch für die aus französischen und deutschen pressen
hervorgehenden classiker die edle schrift durch, die gelehrten hielten
darauf. dagegen bestand die schlechte für das volk, das sich an sie
gewöhnt hatte, fort, in Frankreich eine zeitlang nur, in Deutschland
entschieden und durchaus, hiermit war ein schädlicher unterschied
zwischen lateinischen und vulgarbuchstaben festgesetzt, der nicht nur in
den druckereien galt, sondern auch in den schulen angenommen wurde.
deutsch aber kann diese vulgarschrift immer nicht genannt werden, da sie
auszer Deutschland auch in England, in den Niederlanden, in
Scandinavien und bei den Slaven lateinischer kirche herschte. Engländer
und Niederländer entsagten ihr allmälich ganz, die Polen haben sich
gleichfalls von ihr losgerissen, die Böhmen und Schweden heutzutage
meistentheils, sie besteht gegenwärtig nur, auszerhalb Deutschland, in
böhmischen und schwedischen zeitungen, in Dänemark, Liefland, Littauen,
Estland und Finnland, wo doch alle schriftsteller geneigt sind, zur
reinen lateinischen schrift überzutreten, auch meistens schon
übergetreten sind ...
... Alle schrift war ursprünglich majuskel,
wie sie in stein gehauen wurde, für das schnelle schreiben auf papyrus
und pergament verband und verkleinerte man die buchstaben, wodurch sich
die züge der minuskel mehr oder minder abänderten. aus den mit dem
pinsel hinzugemahlten initialen der handschriften entsprang die
verbogene und verzerrte gestalt der majuskel, die in den ältesten
drucken auch noch nicht gesetzt, sondern mit farbe eingetragen wurde. in
lateinischen büchern blieben auszer den initialen nur die eigennamen
durch majuskel hervorgehoben, wie noch heute geschieht, weil es den
leser erleichtert. im laufe des 16 jh. führte sich zuerst schwankend und
unsicher, endlich entschieden der misbrauch ein, diese auszeichnung auf
alle und jede substantiva zu erstrecken, wodurch jener vortheil wieder
verloren gieng, die eigennamen unter der menge der substantiva sich
verkrochen und die schrift überhaupt ein buntes, schwerfälliges ansehen
gewann, da die majuskel den doppelten oder dreifachen raum der minuskel
einnimmt. rechnet man hinzu, dasz die deutsche sprache insgemein zur
verdoppelung der buchstaben und einschaltung unnöthiger dehnlaute
geneigt ist, für ihre häufigen verbindungen ch sch und sz aber einfacher
zeichen entbehrt, so begreift sich, wie die darstellung unsrer laute so
breit ins auge fällt, was bei versen oder wenn eine fremde sprache
daneben steht am sichtbarsten wird. kürze und leichtigkeit des
ausdrucks, die im ganzen nicht unser vorzug sind, weichen vor diesem
geschlepp und gespreize der buchstaben völlig zurück. meinestheils
zweifle ich nicht an einem wesentlichen zusammenhang der entstellten
schrift mit der zwecklosen häufung der groszen buchstaben, man suchte
darin eine vermeinte zier und gefiel sich im schreiben sowol an den
schnörkeln als an ihrer vervielfachung. wenigstens die der edlen
lateinischen schrift pflegenden völker kamen gar nicht auf den gedanken
einer so sinnlosen verkleisterung der substantive.
Kaum ein leser
dieses wörterbuchs wird an den lateinischen und kleinen buchstaben
ärgernis nehmen oder sich nicht leicht darüber hinaussetzen, allen
unbefangnen aber musz die daraus entsprungne sauberkeit und
raumersparnis angenehm ins auge fallen. hat nur ein einziges geschlecht
der neuen schreibweise sich bequemt, so wird im nachfolgenden kein hahn
nach der alten krähen. wem das thun oder lassen in solchen dingen
gleichgültig ist und jeder unbrauch zu einer unabänderlichen
eigenthümlichkeit des volks gedeiht, der dürfte gar nichts anrühren und
müste in allen verschlechterungen der sprache wirkliche verbesserungen
sehen. es gibt aber in ihr nichts kleines, das nicht auf das grosze
einflösse, nichts unedles, das nicht ihrer angebornen guten art
empfindlichen eintrag thäte. Lassen wir doch an den häusern die giebel,
die vorsprünge der balken, aus den haaren das puder weg, warum soll in
der schrift aller unrat bleiben?