Sonntag, 15. Januar 2017

[ #eLexika ] Digital online: Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch


(Retrodigitalisat) Das 32bändige Wörterbuch gibt es für alle, die nur eine Garçonnière bewohnen nicht nur platzsparend als CD sondern als kostenloses Online-Angebot. Jakob Grimm verfocht eine durchgängige Kleinschreibung und bedauerte "den albernen gebrauch großer buchstaben für alle substantiva".

Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Wer gerne die Bedeutung alter Wörter nachschlägt, ist beim berühmten Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm, den bekannten Geschichtenerzählern richtig. Es ist eines der umfangreichsten Wörterbücher überhaupt. In über hundert Jahren wurde ihre Vorarbeit auf insgesamt 16 Bände ausgeweitet. Als es am 4. Jänner 1961 - nach 123 Jahren - fertiggestellt war, war der letzte Band der 32.! Die Neubearbeitung hat jedoch gleichzeitig mit dem Abschluss der Arbeit begonnen. Ein zusätzlicher Quellenband erschien 1971.



Für den Hausgebrauch kaum nutzbar. Das umfangreiche Werk gibt es allerdings auch handlich als CD-ROM, oder ganz einfach im Internet. Darin kann auch online geblättert werden. Gesucht werden kann ein Begriff entweder per Stichworteingabe oder ganze einfach nach dem Alphabet (etwas unscheinbar, auf der linken Seite). Und weil es sich hier um ein mächtiges und wichtiges Werk handelt, reagieren manche Browser etwas behäbig. Warten lohnt sich aber.

 [ #FREIHANDbuch ]
Glückliches China. Dass es zu dieser elektronischen Fassung kam, kommt einem zweiten Wunder gleich. Zu verdanken ist es einem engagierten Team von Informatikern und Geisteswissenschaftlern um den Germanisten Kurt Gärtner im "Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier", das sämtliche Probleme im Zusammenhang mit der Digitalisierung des "Grimm" lösen musste: Scannen kam nicht in Frage, denn die Fehlerquote wäre bei einer Schriftgröße von nur 7 Punkt, bzw. 6 Punkt für die Zitate, zu hoch gewesen. Also entschied man sich in Trier für die Methode der doppelten Eingabe: Das bedeutete, dass gleich zweimal sämtliche 300 Millionen gedruckte Zeichen per Tastatur eingegeben werden mussten, der automatische Abgleich beider Versionen sollte dann die dabei entstehenden Fehler erkennen. 

Das Kompetenzzentrum vergab den Auftrag nach China, weil deutschsprachige Erfasser/innen unwillkürlich Fehler in die Dateien geschrieben hätten. Sie hätten womöglich aus einem mittelhochdeutschen "frouwe" ohne es selbst zu merken "frauwe" werden lassen, Fehler, die man dann erst aufwändig wieder herauskorrigieren müsste. Da es aber um eine buchstaben- und zeichengetreue Umsetzung geht, die so präzise ist, dass sie Linguisten absolute Zuverlässig- und Zitierbarkeit garantiert, kam nur China in Frage. Bereits den Schreibanfängern wird dort eingeprägt, auch die kleinste Veränderung in ihrem komplizierten Schriftsystem wahrzunehmen. Jedes fehlende oder hinzugefügte Detail kann die Bedeutung eines Zeichens vollständig verändern.  

Was in Nanjing getippt wurde, musste dann vom Team in Trier abgeglichen, neu systematisiert, um spezielle Kodierungen und exotische Sonderzeichen ergänzt und in international standardisierte Beschreibungssprachen überführt werden. So entstand eine digitale Fassung, deren Text der Druckversion nicht nur in seiner Handhabbarkeit überlegen ist: Er wurde auch gleich um eindeutige Druckfehler im Deutschen bereinigt und ist damit der neue Standard für jeden Wortforscher, der sich mit der Geschichte der deutschen Sprache beschäftigt.


Kleinschreibung. A propos Rechtschreibreform: Jakob Grimm verfocht eine durchgängige Kleinschreibung. Im Vorwort zum deutschen Wörterbuch betont er, daß die Fraktur erst "den albernen gebrauch großer buchstaben für alle substantiva" veranlaßt habe: 

19. Schreibung und druck. 

Es verstand sich fast von selbst, dasz die ungestalte und häszliche schrift, die noch immer unsere meisten bücher gegenüber denen aller übrigen gebildeten völker von auszen barbarisch erscheinen läszt, und einer sonst allgemeinen edlen übung untheilhaftig macht, beseitigt bleiben muste. 

Leider nennt man diese verdorbne und geschmacklose schrift sogar eine deutsche, als ob alle unter uns im schwang gehenden misbräuche zu ursprünglich deutschen gestempelt, dadurch empfohlen werden dürften. nichts ist falscher, und jeder kundige weisz, dasz im mittelalter durch das ganze Europa nur éine schrift, nemlich die lateinische für alle sprachen galt und gebraucht wurde. seit dem dreizehnten, vierzehnten jahrhundert begannen die schreiber die runden züge der buchstaben an den ecken auszuspitzen und der beinahe nur in rubriken und zu eingang neuer abschnitte vorkommenden majuskel schnörkel anzufügen. 

Die erfinder der druckerei gossen aber ihre typen ganz wie sie in den handschriften üblich waren und so behielten die ersten drucke des 15 jh. dieselben eckigen, knorrigen und scharfen buchstaben, gleichviel ob für lateinische oder deutsche und französische bücher bei. mit ihnen wurden dann auch alle dänischen, schwedischen, böhmischen, polnischen bücher gedruckt. dennoch führte in Italien, wo die schreiber der runden schrift treuer geblieben waren und schöne alte handschriften der classiker vor augen lagen, schon im 15 jh. in vielen druckereien ein reinerer geschmack die unentstellten buchstaben für die lateinische oder vulgare sprache zurück, und nun lag es an den andern völkern diesem beispiel zu folgen. beim latein gab es keinen ausweg, und im 16 jh. drang auch für die aus französischen und deutschen pressen hervorgehenden classiker die edle schrift durch, die gelehrten hielten darauf. dagegen bestand die schlechte für das volk, das sich an sie gewöhnt hatte, fort, in Frankreich eine zeitlang nur, in Deutschland entschieden und durchaus, hiermit war ein schädlicher unterschied zwischen lateinischen und vulgarbuchstaben festgesetzt, der nicht nur in den druckereien galt, sondern auch in den schulen angenommen wurde. deutsch aber kann diese vulgarschrift immer nicht genannt werden, da sie auszer Deutschland auch in England, in den Niederlanden, in Scandinavien und bei den Slaven lateinischer kirche herschte. Engländer und Niederländer entsagten ihr allmälich ganz, die Polen haben sich gleichfalls von ihr losgerissen, die Böhmen und Schweden heutzutage meistentheils, sie besteht gegenwärtig nur, auszerhalb Deutschland, in böhmischen und schwedischen zeitungen, in Dänemark, Liefland, Littauen, Estland und Finnland, wo doch alle schriftsteller geneigt sind, zur reinen lateinischen schrift überzutreten, auch meistens schon übergetreten sind ... 

... Alle schrift war ursprünglich majuskel, wie sie in stein gehauen wurde, für das schnelle schreiben auf papyrus und pergament verband und verkleinerte man die buchstaben, wodurch sich die züge der minuskel mehr oder minder abänderten. aus den mit dem pinsel hinzugemahlten initialen der handschriften entsprang die verbogene und verzerrte gestalt der majuskel, die in den ältesten drucken auch noch nicht gesetzt, sondern mit farbe eingetragen wurde. in lateinischen büchern blieben auszer den initialen nur die eigennamen durch majuskel hervorgehoben, wie noch heute geschieht, weil es den leser erleichtert. im laufe des 16 jh. führte sich zuerst schwankend und unsicher, endlich entschieden der misbrauch ein, diese auszeichnung auf alle und jede substantiva zu erstrecken, wodurch jener vortheil wieder verloren gieng, die eigennamen unter der menge der substantiva sich verkrochen und die schrift überhaupt ein buntes, schwerfälliges ansehen gewann, da die majuskel den doppelten oder dreifachen raum der minuskel einnimmt. rechnet man hinzu, dasz die deutsche sprache insgemein zur verdoppelung der buchstaben und einschaltung unnöthiger dehnlaute geneigt ist, für ihre häufigen verbindungen ch sch und sz aber einfacher zeichen entbehrt, so begreift sich, wie die darstellung unsrer laute so breit ins auge fällt, was bei versen oder wenn eine fremde sprache daneben steht am sichtbarsten wird. kürze und leichtigkeit des ausdrucks, die im ganzen nicht unser vorzug sind, weichen vor diesem geschlepp und gespreize der buchstaben völlig zurück. meinestheils zweifle ich nicht an einem wesentlichen zusammenhang der entstellten schrift mit der zwecklosen häufung der groszen buchstaben, man suchte darin eine vermeinte zier und gefiel sich im schreiben sowol an den schnörkeln als an ihrer vervielfachung. wenigstens die der edlen lateinischen schrift pflegenden völker kamen gar nicht auf den gedanken einer so sinnlosen verkleisterung der substantive. 

Kaum ein leser dieses wörterbuchs wird an den lateinischen und kleinen buchstaben ärgernis nehmen oder sich nicht leicht darüber hinaussetzen, allen unbefangnen aber musz die daraus entsprungne sauberkeit und raumersparnis angenehm ins auge fallen. hat nur ein einziges geschlecht der neuen schreibweise sich bequemt, so wird im nachfolgenden kein hahn nach der alten krähen. wem das thun oder lassen in solchen dingen gleichgültig ist und jeder unbrauch zu einer unabänderlichen eigenthümlichkeit des volks gedeiht, der dürfte gar nichts anrühren und müste in allen verschlechterungen der sprache wirkliche verbesserungen sehen. es gibt aber in ihr nichts kleines, das nicht auf das grosze einflösse, nichts unedles, das nicht ihrer angebornen guten art empfindlichen eintrag thäte. Lassen wir doch an den häusern die giebel, die vorsprünge der balken, aus den haaren das puder weg, warum soll in der schrift aller unrat bleiben?