Eine Heirat war abhängig davon, ob und wie die Beziehungen zwischen den beiden Partnern mit den Verwandtschaftsbeschränkungen in Einklang zu bringen waren und welche Dispense gegebenenfalls erforderlich waren.
Die seit dem Vierten Laterankonzil 1215 bis zur Einführung des Codex iuris canonici 1917 geltenden Regeln für eine katholische Eheschließung sahen vor, dass Verwandte bis zur vierten Generation rückwärts sowie durch Patenschaft in eine geistliche Verwandtschaft eingetretene Personen nicht miteinander eine Ehe eingehen konnten. Neben Schwierigkeiten mit der Zählweise offenbaren die Quellen, die Lanzinger für vier Diözesen (Brixen, Salzburg, Chur und Trient) untersucht hat, Diskurse über den Gnaden- oder Strafcharakter von Dispensen, zu Liebesbeziehungen und Emotionen, zur Sorge um die materielle Existenz, aber auch um die Moralität der Partner. Erst im 19. Jahrhundert treten medizinische Diskurse hinzu, die sich mit dem Konzept des "gemeinsamen" oder "fremden Blutes" verbinden.
Für Dispense von zu naher Verwandtschaft waren kirchliche Behörden (Bistum und Rom) zuständig, doch standen sie in Konkurrenz zu den staatlichen Behörden, die häufig eine laxere Praxis verfolgten. Wegen der Kleinräumigkeit der Territorien wechselten Heiratswillige deshalb öfter die Grenzen. Dispense waren also Ausdruck konkurrierender Machtkämpfe zwischen Kirche und Staat, vor allem am Ende des 18. Jahrhunderts in der josephinischen Reformperiode.
Vorarlberger Inzestprobleme. Ein letztes Problemfeld eröffnet Lanzinger mit den "konsanguinen Ehen", also denen zwischen Cousin und Cousine. Sie kann zeigen, dass ökonomische Erklärungen auf dem Hintergrund des lokalen Erbrechts zwar eine wichtige Rolle spielen, aber solche Heiratsprojekte auch "eine Folge verdichteter Verwandtschaftsnetze insbesondere der über Vermögen und Status definierten lokalen und regionalen Eliten" sind, wie sie am Beispiel der Vorarlberger Familie Metzler darlegen kann. Joseph Feßler, später als Generalsekretär einer der wichtigen Protagonisten des Ersten Vatikanischen Konzils, versuchte als Generalvikar in Vorarlberg diese Verwandtenehen nach Möglichkeit zu verhindern. Als in Österreich 1868 die Notzivilehe eingeführt wurde, bekamen heiratswillige Paare einen Ausweg, den sie gelegentlich durch Andeutungen und Drohungen ausnutzten, um eine kirchliche Ehedispens zu erhalten.
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- Margareth Lanzinger: Verwaltete Verwandtschaft - Eheverbote, kirchliche und staatliche Dispenspraxis im 18. und 19. Jahrhundert - 2015, BÖHLAU.
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- 20.3.17 [Letzte Aktualisierung, online seit 20.3.17]
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Inhalt
VORWORT 7
EINLEITUNG 9
1. Verwandtschaft und Verwandtenheirat 15
2. Konfessionelle Differenzierungen 24
3. Verwalten von Verwandtschaft 27
4. Quellen im Kontext 31
I. KONZEPTE UND DISKURSE 41
1. Eheverbote: Reichweiten und Zählweisen 42
2. Gnade und Strafe 52
3. Liebe und Leidenschaft 57
4. Sozio-politische und moralische Argumente 69
5. Physiologisch-medizinische Diskurse 81
6. Vom „gemeinsamen“ und „fremden Blut“ zur Rassifizierung 90
II. KIRCHE UND STAAT IN KONKURRENZ 99
1. Das placetum regium – eine „formalité si humiliante pour l’Eglise“ 102
2. Staatliche Dispenspolitik im Zeichen des „allgemeinen Nutzens“ 109
3. Die Grenze der Eheverbote: zweiter oder vierter Grad? 115
4. Dispensvollmachten: divergierende und konfligierende Logiken 124
5. Keine Dispensen mehr aus Rom? 133
6. Eigenmächtigkeiten – mit Grenzen 145
III. VERFAHRENSWEGE, EVIDENZEN UND LOGIKEN 159
1. Dispensakten und Diözesen 161
2. Wissen und Wahrnehmung von Verwandtschaft 172
3. Abwehr und Hürden 183
4. Römische Dispensen: der Parcours durch die Verwaltung 191
5. Kanonische Dispensgründe: Logiken von Status und Geschlecht 205
6. Öffentlich und geheim, ‚würdig‘ und ‚unwürdig‘ 214
IV. NAHE SCHWÄGERSCHAFT – UMKÄMPFTE VERBINDUNGEN 223
1. Verschärfte Dispenspolitik 227
2. Vermittlung und Empfehlung 233
3. Kämpfen um Dispensen – auf „nie erhörtem Wege“ 243
4. Tante versus Stiefmutter 254
5. Das „ärgerliche Zusammenwohnen“ 264
6. Besitz und Vermögen – Konflikte und Befriedung 272
V. KONSANGUINE EHEN: KONTEXTE UND KONTROVERSEN 281
1. Milieuspezifische Argumentationsrepertoires 285
2. Verdichtete Cousin-Cousinen-Ehen: die Geschwister Metzler .291
3. Joseph Feßlers Kampf gegen Cousin-Cousinen-Ehen 301
4. Auswirkungen römischer Dispensehen: die Erhebung von 1883 310
5. Die „Notzivilehe“ und schwierige Verbindungen: Onkel und Nichte 317
6. Verwandtenehen in Zahlen – politische Kultur im Kontext 329
SCHLUSS: ABGRENZUNGEN UND MACHTSPHÄREN 343
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN UND TABELLEN 353
DIE ORGANISATION DES MATERIALS 355
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS 357
Archivmaterial 357
Gedruckte Quellen 361
Literaturverzeichnis 369
REGISTER 398